Warum
nicht wir?
Noch immer geben in unseren
Debatten Schriftsteller über 70 den Ton an. Michael Kleeberg
erklärt, warum seine Generation die Allzuständigkeit
der Altvorderen nicht anstrebt
von Michael Kleeberg
Warum die Schriftsteller der Nach-68er-Generation in Deutschland
nicht endlich die Diskurshoheit übernehmen, ist die implizite
Frage, die sich stellt, wenn wie jetzt wieder in einem bei
Eichborn veröffentlichten Listing der "wichtigsten
deutschen Intellektuellen" zum x-ten Mal die alten Herren
aus den jungen Jahren der Republik an vorderster Stelle genannt
werden. Warum sieht und hört man nicht auch diejenigen,
die, in Fachkreisen durchaus anerkannt, der hiesigen Literatur
neue Impulse geben? Eine Verschwörung der Gerontokratie?
Eine Verweigerung der Jüngeren? Oder ist eigentlich alles
ganz in Ordnung?
Es spricht aus dem Interesse an diesem Phänomen ein wenig
Neid auf unsere Nachbarn wie die Franzosen, bei denen in jeder
Generation Künstler auf Augenhöhe mit den Herrschenden
gestritten, diniert und manchmal gekungelt haben.
So war es aber in Deutschland nie: Unsere Intellektuellen
haben meist an der Peripherie gesessen und in ohnmächtiger
Wut von ganz anderen Verhältnissen geträumt.
Zumal nach 1945 hat das Engagement deutscher Schriftsteller
der bitterernsten Frage nach dem richtigen politischen Weg
gegolten, und in gewisser Hinsicht sind viele von ihnen Opfer
einer Form von Dialektik der Aufklärung geworden: Half
ihre Einmischung in den Jahren, da die Demokratie hierzulande
nur eine uns von den Siegermächten übergeworfene
Hülle war, das Wort mit Leben zu erfüllen, so schienen
sie in ihrem Eifer nicht zu bemerken, daß sie irgendwann
etabliert war und wollten immer noch darüber hinaus.
Die DDR glaubte, die historische Wahrheit per Definition gepachtet
zu haben. Wir wissen heute, zu welchen Verrenkungen diese
Lebenslüge Schriftsteller zwang, die nicht irgendwann
in den Gotha der Verfemten, Verhafteten, Ausgebürgerten
Einlaß gefunden haben.
Noch im Herbst 1989 war es schwer, einen politisch engagierten
Autor der Nachkriegs- oder 68er-Generation zu finden, der
nicht an einen Sozialismus als die Staatsform der Zukunft
glaubte. Meine Altersgenossen haben politisches Engagement
jedenfalls selten anders kennengelernt, denn als Wahlhilfe
für die SPD und Sympathie für die Grünen. Das
"irgendwie links stehen", zu dem sie sich meist
immer noch bekennen, ist mehr eine ästhetische Kategorie
- Fischer ist cooler als Merkel -; jedenfalls hindert es nicht,
seine Kinder auf private Eliteschulen zu schicken, auf ein
USA-Stipendium zu hoffen oder gar seinen offiziellen Wohnsitz
in Irland zu nehmen, um der Steuer zu entgehen.
Es ist ein interessantes Phänomen in der deutschen Gesellschaft
seit 1945 und ausschließlich in ihr, daß die geistigen
Opponenten des "Irgendwie links" keine intellektuelle
Kaution besitzen noch je besessen haben, ja daß der
Begriff der Freiheit, wenn man ihn einmal (was ja andernorts
keineswegs so absurd ist wie hierzulande) als den großen
Gegenpol aller sozialistischen Ideologien begreifen will,
als universelle Verheißung und Verantwortung, in Westdeutschland
unter den Schriftstellern keinen wortmächtigen Herold
gefunden hat, was daran liegt, daß nach der Nazizeit
die intellektuelle Freiheitshoffnung hier eben an die Linke
geknüpft war. Das führte dazu, daß die hohe
Zeit der engagierten deutschen Literatur mit dem Zusammenbruch
der sozialistischen Staaten geendet hat.
Erschienen in Die Welt, 19.3.2005
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