Der
Mensch denkt, Max A. Höfer rankt
Wer bestimmt die Debatten? Die Hitparade
unserer Superdenker zeigt:
Wer dauernd irrt, darf in diesem Land als Meinungsführer
gelten.
Autor: CHRISTIANE FLORIN
Zwischen Inkontinenz und Irrtum steht in deutschen Lexika
das Wort Intellektueller. Eine passende Platzierung, also
ein Mensch, der die Tinte nicht halten kann. Je peinlicher
die Absonderungen ausfallen, desto begehrter werden undichte
Dichter und Denker. Bisher haben wir uns nicht getraut, solche
Ressentiments aufzuschreiben. Das war zu nah dran an Liedern,
wie sie blöde Blondlinge in Nazi-Konzerten sangen.
Wir ertrugen freudig, was Mahner, Dialektiker, Wut-und-Trauer-Jünglinge
von sich gaben. Lustvoll ließen wir uns von Grass maßregeln,
demütig rätselten wir, was Habermas mit Strukturwandel
der Öffentlichkeit meinen könnte, besorgt fragten
wir, ob eine Powerfrau wie Katja Flint dem zarten Handke gut
tut. Wir haben unsere geistigen Leithammel immer artgerecht
behandelt. Ob sie mit ihren Prognosen immer richtig lagen?
Ob sie kundig genug waren, um sich zur Genforschung, Hartz
IV oder Serbien zu äußern? In so kleinliche Käfige
haben wir unsere Prachtexemplare nie
gezwängt.
Max A. Höfer, Chef des Deutschen Instituts für Gesundheitsökonomie,
geht nun den gehätschelten Hammeln ans Fell. Er hat eine
Hitparade, neudeutsch: ein Ranking, der 200 meistzitierten
lebenden Meinungsführer, Denker, Visionäre aufgestellt
(Eichborn,
Frankfurt/Main 2005, 367 Seiten, 22,90 EUR).
Seine Top Ten: Günter Grass, Harald Schmidt, Martin Walser,
Marcel Reich-Ranicki, Wim Wenders, Hans Magnus Enzensberger,
Roland Berger, Jürgen Habermas, Peter Handke und Christa
Wolf. Die Superdenker sind jetzt schon so alt, wie das Land
2050 sein wird, sie sind chauvinistischer als Dieter Bohlen,
nur sieben Frauen schaffen es unter die ersten 100 und vor
allem: Die Herren stehen vorn, weil sie schief liegen. Ranker
reimt sich auf Henker, Höfer dreht fast jedem einen Strick:
Grass wollte die
Einheit verhindern, Wenders hielt kommerzfreie Filme für
möglich, Christa Wolf fand die DDR ganz in Ordnung. Unglücklich
das Land, das solche Helden hat. Es braucht sich über
Pisa, Rezession und TV-Sendungen mit großen, dicken,
peinlichen Verlobten nicht zu wundern. Traumatisiert vom strammen
Führer, haben sich die Deutschen elastische Meinungsführer
gesucht. Eines Tages werden die Nachgeborenen fragen: Wie
konntet ihr das nur zulassen?
Höfer rät, den geistigen Haushalt der Nation nicht
schwafelnden Literaten anzuvertrauen, sondern Naturwissenschaftlern
und Ökonomen. Die beste Lektion seiner Bestenliste verschweigt
er jedoch: Der Erfinder des Spruchs Ich denke, also
bin ich fällt als Toter durchs Ranking-Raster.
Wir denken trotzdem künftig selbst vor, nach und quer.
Echt irre.
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